GESCHICHTE - NS-Euthanasie

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GESCHICHTE

Die Geschichte des Mahnmals für die Euthanasie-Opfer aus Neustadt
Den Anstoß, ein  Mahnmal  zu erstellen, gab  eine Veranstaltung des Arbeitskreises Cap Arcona im Mai 2013 in der Kunstküche des Ameos Klinikum in Neustadt. Nach den Ausführungen des Historikers Götz Aly über die NS-Euthanasie und der Lektüre seines Buches „Die Belasteten“ war der Arbeitskreis Cap Arcona entschlossen, möglichst allen Opfern der NS-Euthanasie aus Neustadt posthum  ihre Namen und damit ihre Würde zurückzugeben.
Bei der Suche nach den Namen konnte sich der Arbeitskreis auf die Veröffentlichung von Prof. Friedrich Ernst Struwe stützen, der das Ausmaß und den Ablauf der Deportationen aus der Landesheilanstalt Neustadt in der Broschüre  „Landesheilanstalt Neustadt in Holstein - Berichte aus den Jahren 1918-1945“  dokumentiert hat. Da das Ameos Klinikum 2009 sämtliche Neustädter Krankenakten aus der fraglichen Zeit dem Landesarchiv Schleswig übergeben hat, wollte der Arbeitskreis dort recherchieren.
Diese staatliche Einrichtung  lehnte jedoch die beantragte Akteneinsicht zum Zwecke der Veröffentlichung der Opfernamen ab. Die Ablehnung wurde vor allem mit drei Argumenten begründet.  Das Landesarchiv unterstellte noch lebenden Angehörigen, sich ihrer Verwandten zu schämen
-  weil  sie Patienten in einer psychiatrischen  Anstalt waren
- weil sie an einer Erbkrankheit litten und
- weil sie als „lebensunwertes Leben“ von den Nazis verschleppt und auf der Grundlage des NS-Gesetzes „zur Verhütung erbkranken Nachwuchs“ ermordet wurden.  
- Fakt ist, dass die Behauptung, psychische Krankheiten seien erblich, in der Allgemeinheit nicht haltbar ist.  Im übrigen waren nicht alle Deportierten krank, manche waren behindert, einfach alt oder galten als randständig. Für die Nazis  waren sie kostspielige „unnütze Esser“, die fortzuschaffen waren.
- Fakt ist auch, dass das Nazi-Gesetz „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zu leidvollen Zwangssterilisierungen führte, aber zu keinem Zeitpunkt die rechtliche Grundlage für den hunderttausendfachen Patientenmord war.
Dass das Landesarchiv  im Jahre 2014 mit Begrifflichkeiten der faschistischen Ideologie argumentierte, hat den Arbeitskreis entsetzt.  Gegen diesen skandalösen Bescheid  wurde Widerspruch eingelegt und in einer mehrstündigen Anhörung vor dem zuständigen, unabhängigen Schiedsausschuss beim Landesarchiv ein Teilerfolg errungen.  Demzufolge durfte der Arbeitskreis die Transportlisten in Schleswig einsehen und per Hand über 1000 Namen abschreiben - kopieren, fotografieren war ausdrücklich verboten.  Per E-Mail schickte das schleswig-holsteinische Kultusministerium zudem die Mahnung, auf die Nennung der vollständigen Opfernamen zu verzichten - im „Interesse der heute lebenden Angehörigen am Nichtwissen“.     
Nichtwissen erschien dem Arbeitskreis angesichts des von den Nazis verübten Massenmords an Patienten keine Option - diese Ermahnung  wurde ignoriert und als Richtschnur für das weitere Handeln die Haltung des Historikers Ernst Klee gewählt, der maßgeblich die Erforschung der NS-Euthanasie vorangetrieben hat. Klee schrieb: „Wer aber diese Opfer-Namen abkürzt, der vernichtet ihre Namen noch einmal, betreibt, gewollt oder nicht, das Werk der Mörder. Anonymisierung entehrt, löscht aus, tötet“.
Nicht ignoriert  wurde die Auflage des Schiedsausschusses , nur die Opfer-Namen auf einem Gedenkstein sichtbar zu machen, deren Todesdaten zu ermitteln sind.  Recherchiert wurde bei den Gedenkstätten der damaligen Tötungsanstalten, bei Standesämtern in Polen. Es wurde mit  Hamburger Archiven kooperiert, die Findbücher des Klinikum in den fraglichen Jahren durchforstet und die gelisteten Transporte in die Tötungsanstalten Branitz, Landsberg, Meseritz-Obrawalde, Tiegenhof Brandenburg und Bernburg wieder und wieder abgeglichen.  
206  Ermordeten konnte der Arbeitskreis die Todesdaten zuordnen.  725 weitere Patientinnen und Patienten waren nachweislich aus Neustadt deportiert worden, aber ihr Schicksal lässt sich nicht mehr aufklären.  Unterlagen insbesondere in Polen und Tschechien wurden während des Krieges oder danach vernichtet.
Sollte man die 725  Deportierten einfach vergessen, obwohl doch alle wissen, das auch sie zu den nahezu 300 000 Menschen gehören, die von 1939 bis 1945 in der NS-Euthanasie vergast,  zu Tode gespritzt  oder den Hungertod starben? Der Arbeitskreis wollte nicht vergessen und so stehen auf den drei Tafeln nun die vollen Namen von 931 Deportierten und Ermordeten der NS-Euthanasie, die vor 76 Jahren noch auf dem Gelände der damaligen Landesheilanstalt, der heutigen Ameos Psychiatrie lebten.  
In der dreijährigen Beschäftigung mit den faschistischen Patientenmorden hat der Arbeitskreis Cap Arcona gelernt, dass die öffentliche Benennung dieser Opfergruppe - und nur dieser - immer noch ein Tabu ist. In seiner ehrenamtlichen Arbeit stützt sich der Arbeitskreis auf ein positives Gutachten zur Namensnennung, das Dr. Ehrhart Körting  in der Auseinandersetzung um ein Denkmal für die Opfer der NS-Euthanasie an der Tiergartenstraße in Berlin, das 2014 eingeweiht wurde, erstellte. Der ehemalige Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs Berlin und ehemalige Berliner Innensenator schrieb:
„Es geht darum, den ermordeten Opfern wieder Gesicht und Namen zu geben, sie aus der Namenlosigkeit, der Anonymität herauszuholen, ihren gleichberechtigten Wert als Glieder unserer Gesellschaft zu betonen. Gleichzeitig ist es die Aufgabe, das verbrecherische Programm der NS Euthanasie von 1939 bis 1945 immer wieder in Erinnerung zu rufen. Das ist auch ein öffentliches Interesse, das hinter der Namensnennung steht.“

Ohne die finanzielle Unterstützung des Ameos Klinikum hätte der Arbeitskreis Cap Arcona das Mahnmal nicht realisieren können.  Besonderer Dank gilt dem Grafiker und Designer Hans-Dieter Holtz, der das Mahnmal mit drei Tafeln konzipiert, gestaltet und durch alle, auch schwierigen Phasen gemeinsam mit Maik Rast vom Schlosserladen gelotst hat. Aufgebracht wurden die Namen ebenfalls von Neustädtern, von der Firma  F & F Lasertechnik.



  
Fotogalerie von der Einweihungsveranstaltung
Fotos: Erken Schröder, Sylvia Blankenburg, Wilhelm Lange
Hier können Sie nach Deportierten und Ermordeten suchen:
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